VorwortLesen Sie im zunächst im 1. Buch Mose Kapitel 11 die Verse 1-9! Stellen Sie fest, welche drei Hauptelemente in diesen Versen zu finden sind, die man eventuell auch im Überlieferungsgut der Völker wiederfinden könnte.

1 Die Menschen hatten damals alle noch dieselbe Sprache und den gleichen Wortschatz. 2 Als sie nach Osten zogen, fanden sie eine Ebene im Land Schinar und ließen sich dort nieder. 3 Sie sagten zueinander: "Los! Wir machen Ziegel aus Lehm und brennen sie zu Stein!" Die Ziegel wollten sie als Bausteine verwenden und Asphalt als Mörtel. 4 Dann sagten sie: "Los! Bauen wir eine Stadt und einen Turm, der bis an den Himmel reicht! So werden wir uns einen Namen machen und verhindern, dass wir uns über die ganze Erde zerstreuen."

5 Jahwe kam herab, um sich anzusehen, was die Menschen da bauten – eine Stadt mit einem Turm! 6 Da sagte er: "Es ist offensichtlich: Sie sind ein einziges Volk und sprechen nur eine Sprache. Und was sie jetzt begonnen haben, zeigt, dass ihnen künftig nichts unmöglich sein wird. Sie werden alles tun, was sie sich ausdenken. 7 Los! Steigen wir hinunter und verwirren ihre Sprache, dass keiner mehr den anderen versteht!" 8 So zerstreute Jahwe die Menschen von dort aus über die ganze Erde, und sie mussten aufhören, die Stadt zu bauen. 9 Deswegen gab man der Stadt den Namen Babel, Verwirrung, denn Jahwe hatte dort die Sprache der Menschen verwirrt und sie von diesem Ort aus über die ganze Erde zerstreut.

Ausgangspunkt unseres Textes ist die Feststellung, dass die Menschen nach der Sintflut dieselbe Sprache sprachen und außerdem den gleichen Wortschatz besaßen.

Offensichtlich wanderte die stark wachsende Gruppe von Menschen vom Landeplatz der Arche im Gebirge Ararat weg in schönere Gegenden. Sie fanden die paradiesisch fruchtbare Ebene im Land Schinar zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris. Dort entstand die erste Hochkultur nach der Sintflut.

Es ist bemerkenswert, dass die frühen Hochkulturen im Zweistromland plötzlich entstanden sind, wie namhafte Archäologen herausgefunden haben. Sie haben sich also nicht aus primitiven Anfängen heraus entwickelt. Ja man kann regelrecht von einer Kulturexplosion sprechen.

Vers 4 macht aber die Gesinnung der ersten Städtebauer nach der Flut deutlich. Sie wollten sich einen Namen machen und ihre Zerstreuung über die Erde verhindern. Anführer könnte Nimrod gewesen sein, denn er war der erste Herrscher von Babel.[ 1 ]Siehe Kapitel 10,8-10.

Zikkurat von Ur nach seiner RekonstruktionBei dem Turm handelte es sich vermutlich um eine Zikkurat, einen mehrstufigen Tempelturm. In keilschriftlichen Texten werden mehr als dreißig solcher Zikkurats im Zweistromland erwähnt. Bis heute sind viele solcher Monumente ausgegraben worden auch in Städten, die in der Bibel erwähnt werden, wie Ur, Erek und Ninive. Im Bild die rekonstruierte Zikkurat von Ur.[ 2 ] Bildquelle: Von Hardnfast, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3544015 Auf der obersten Etage befand sich gewöhnlich ein Tempel mit einer Götterfigur. Zum Bau verwendete man Tonziegel und als Bindemittel Asphalt, erhärtetes Erdöl (nicht zu verwechseln mit Teer), genauso wie es in unserem Text beschrieben ist.

Der Turm von Babel muss an derselben Stelle gesucht werden, wo unter Nebukadnezzar II. (605-562 v. Chr.) die Zikkurat gestanden hat, die man e-temen-an-ki nannte. Das bedeutet „Fundamenthaus von Himmel und Erde“. Die ursprüngliche Zikkurat wurde offenbar genauso wenig wie die Stadt (V. 8) fertig gebaut. Eine Tontafel berichtet, dass sie aber unter Sargon I. (um 2300 v. Chr.) und seinem Nachfolger weitergebaut wurde. Nach dieser Auskunft besaß sie eine Grundfläche von 90 x 90 m und sieben Stockwerke mit einer Gesamthöhe von 90 m.[ 3 ]Liebi S. 114 ff.

Es ist sehr bemerkenswert, dass von dem in 1. Mose 11 überlieferten Ereignis sich auch in dem Überlieferungsgut der Völker weltweit Übereinstimmungen finden, wobei allerdings die drei Hauptelemente des Bibeltextes (Turmbau, Sprachverwirrung und weltweite Zerstreuung) bei 60 untersuchten Beispielen nur 5x zusammen auftreten. Die Kombination Turmbau und Sprachverwirrung kommt in 14 Überlieferungen vor und die Kombination Turmbau und Zerstreuung in sechs.

Natürlich werden diese Texte unterschiedlich gedeutet. Der bibelkritische religionsgeschichtliche Ansatz geht davon aus, dass die biblische Urgeschichte jünger ist, als die Mythen der umliegenden Völker, was wiederum davon abhängt, dass Vertreter dieser Theorie sowohl an eine Evolution der Kulturen als auch an eine Evolution der Religionen glauben. Der biblisch-heilsgeschichtliche Ansatz geht den umgekehrten Weg, wie die folgende Tabelle anschaulich macht.[ 4 ]Belege bei Hartmann S. 35 ff. und 51.

Der religionsgeschichtliche Ansatz

Der biblisch-heilsgeschichtliche Ansatz

Turmbau- und Ursprachesagen sind älter als der biblische Bericht.

Der biblische Turmbaubericht ist der ältere Bericht.

Turmbau- und Ursprachesagen sind Ätiologien (Sagen) ohne historischen Wert.

Der biblische Bericht ist authentisch.

Die Motive Turmbau, Sprachverwirrung und Zerstreuung traten zunächst getrennt auf und wurden später zu einer Einheit verschmolzen.

Der biblische Bericht war zunächst eine Einheit. Erst nach der Zerstreuung: Verlust der Einheit und in vielen Fällen Aufsplitterung in Teilgeschichten mit lokalem Kolorit.

Der biblische Bericht ist eine von polytheistischen und animistischen Elementen gereinigte Fassung.

Die weltweit auftretenden polytheistisch und animistisch gefärbten Turmbau- und Urspracheüberlieferungen sind spätere Entstellungen.

 „Jahwe kam herab, um sich anzusehen, was die Menschen da bauten – eine Stadt mit einem Turm.“ Dieser biblische Satz in V. 5 wirkt wie eine bittere Satire und ein verdienter Spott über diese törichten Menschen, die glauben, Gott etwas entgegensetzen zu können. Der Allgegenwärtige muss sich förmlich herablassen, um überhaupt erkennen zu können, was die Menschen da Lächerliches bauten.

Allerdings hat Gott auch Interesse an den Angelegenheiten der Menschen und will sie nicht schon wieder in ihr Verderben laufen lassen. Denn: „Es ist offensichtlich: Sie sind ein einziges Volk und sprechen nur eine Sprache. Und was sie jetzt begonnen haben, zeigt, dass ihnen künftig nichts unmöglich sein wird. Sie werden alles tun, was sie sich ausdenken.“

Deshalb griff er ein und tat etwas, das diese Entwicklung wesentlich verlangsamen würde. Denn eine Menschheit, die sich miteinander verbunden weiß und einander verstehen kann, ist zu allem fähig und hat die Hände für jede Maßlosigkeit frei.

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