Spieker, Markus. Jäger des verlorenen Verstandes. Eine Weisheitsschule. Basel: Fontis-Verlag 2023. 647 S. Hardcover: 29,90 €. ISBN: 978-3-03848-269-7

Markus Spieker arbeitet als Chefreporter für den MDR. Von 2015 bis 2018 leitete er das ARD-Studio Südasien in Neu-Delhi. Der promovierte Historiker ist Autor zahlreicher Bücher. Er schrieb unter anderem den Bestseller „Jesus. Eine Weltgeschichte.“ Hier nun lässt er sich auf die Weisheit ein, die in den Völkern der Welt zu finden ist, und natürlich auch in der Bibel, auf die er immer wieder einmal Bezug nimmt. Das 17-seitige Quellen- und Literaturverzeichnis zeugt von seiner immensen Belesenheit. Er trägt sehr viele Zitate zusammen und ordnet sie in fünf Teile: Der Feind, das Wesen, die Quellen, die Ziele und die Wege der Weisheit. Dazwischen immer eine Art zusammenfassende Schlüsse aus dem Geschriebenen. Bei allen Zitaten achtet er darauf, nicht nur die Namen und Lebensdaten der Verfasser anzugeben, sondern beschreibt – wo es möglich ist – auch etwas zur Situation des jeweiligen Verfassers im Zusammenhang mit dem ausgewählten Zitat. Dazu gehören natürlich auch seine Kommentare.

Zum Schluss: „Der Gipfel der Weisheit.“ Spieker fragt: Gibt es „etwas wie die eine wichtige Erkenntnis? Auf welche der vielen Weisheiten kommt es besonders an?“ (S. 608f.) Ist nicht alles nach Prediger 12,12-13 sinnlos? Seine ehrliche Antwort lautet: Ja. Er formuliert dann aber doch sieben Erkenntnisse, die er für sich aus dem Ganzen gewonnen hat und die ihn und seine Leser „hoffentlich zu einem weisen Verständnis von uns selbst, der Welt und Gott verhelfen.“ (S. 610) Vor der siebten und letzten Erkenntnis „engagiert“ er noch einmal „drei christliche Denker, die unsere spannungsgeladene Existenz viel profunder durchdacht haben“ als er selbst. Es sind Blaise Pascal und die unbekannteren Peter Wust und Gabriel Marcel (S. 614ff.) Das führt zur siebten Erkenntnis: „Jesus Christus. Weise Menschen gehen ihm entgegen.“ (S. 624)

Im mittleren Teil des Buches, wo es um die Quellen der Weisheit geht, outet sich Spieker als Christ, der überzeugt davon ist, dass Gott existiert und sich uns auch mitteilt. Anschließend erklärt er die vier Quellen, aus denen sich unsere Erfahrungen und darauf aufbauend unsere Weisheiten speisen: Sein (Warum alles bleibt wie es ist), Bewusstsein (Warum wir glauben, was wir sehen und sehen, was wir glauben), Offenbarung (Eingebung oder Einbildung?), Erfahrung (Da war doch was …). Damit fühlt er sich in ganz guter Gesellschaft der meisten Dichter und Denker (S. 186).

Von hier aus wird der Autor in Bezug auf die Bibel und vor allem auf konservative Christen wie zum Beispiel die Südbaptisten in den USA oder Francis Schaeffer kritischer. Es sei die Verquickung von Glauben und Denken, die zu viel Zündstoff in die Debatte gebracht habe. Spieker meint: Der Glaube sucht nur die Nähe zu Gott und das Denken wird von Abgründen angezogen. Meint er damit das Denken unabhängig von der Bibel? Ergänzen sich beide tatsächlich und verursachen eine „kreative Spannung“? Hat das Denken im Glauben doch nur einen eingeschränkten Platz? Jedenfalls hätten „bedeutende Denker, die an Gott glauben … in der Regel mehr Mühe damit als einfacher gestrickte Fromme.“ (S. 220 f.) – Wie wäre es dann aber mit der Formel von Hebräer 11,3: "Aufgrund des Glaubens verstehen wir, dass die Welt durch Gottes Wort entstand."?

Noch schwieriger wird es mit der Weisheit des Autors bei Inspiration und Verbindlichkeit der biblischen Schriften (S. 245). Was ihn als jungen Christen irritiert hat, bereitet ihm zwar keine Kopfzerbrechen mehr, seit er verstand, dass die „bronzezeitlichen Autoren“ „Historiographie und Poesie“ eben nicht voneinander getrennt hatten. Aber andere Bibelgeschichten empören ihn immer noch, z.B. Achans Steinigung oder das schreckliche Schicksal der Midianiter durch ihre durch Gott befohlene Ausrottung (S. 248ff).

Spieker beschreibt seinen Verstehens-Zugang zur biblischen Offenbarung über Jesus.  Allerdings schreibt er, dass für Jesus „die Schrift nach wie vor unverändert gilt. Aber gleichzeitig relativiert er (Jesus) immer wieder einzelne Aussagen und  stellt ihnen neue Aussagen entgegen … Jesus interpretiert die Bibel kreativ.“ (S. 270). Hier fragt sich der Rezensent, ob der Autor nicht doch zu viel von bibelkritischer Theologie inhaliert hat. Ist es das, was man wirklich wissen muss?

Ja, man kann trotzdem sehr viel aus diesem umfangreichen Werk lernen; ja, wir brauchen krisenfeste Lehren aus der Geschichte, die dabei helfen, auch morgen weise Entscheidungen zu treffen und die Bibel dabei nicht aus dem Auge zu verlieren.

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