Die Grundlage aller unserer Bibelausgaben bilden Handschriften, Abschriften von Abschriften der inspirierten Originale.

Aus den Tausenden von erhaltenen Handschriften des Alten und Neuen Testaments können wir den Grundtext so gut rekonstruieren, dass wir praktisch vom Original ausgehen können. Es gibt nur wenige Textstellen, an denen die Quellen kein eindeutiges Bild vermitteln. Hier ist eine davon.

Höchstwahrscheinlich stand die Geschichte von der Ehebrecherin aber nicht im ursprünglichen Johannes-Evangelium, denn die frühesten und besten Handschriften, die wir noch besitzen, enthalten den Text nicht. Auch in den ältesten Übersetzungen des Neuen Testaments z.B. ins Syrische, Armenische oder Georgische findet man diesen Textabschnitt nicht. Bis ins 12. Jahrhundert hinein hat ihn offenbar auch keiner der Griechisch sprechenden Kirchenväter kommentiert.

Die Geschichte taucht erst in späteren Handschriften auf, aber dort an verschiedenen Stellen des 7. Kapitels oder sogar im Lukas-Evangelium. Aber gerade das zeigt, dass die Geschichte von der Ehebrecherin in vielen Gemeinden mündlich überliefert wurde. Sie war den Gläubigen so wichtig und selbstverständlich, dass etliche der verantwortlichen Kopisten sie in ihre Evangelien-Abschrift aufgenommen haben, allerdings mit der Anmerkung, dass dieser Abschnitt nicht zum Original gehörte, wie es ihnen vorlag. 

Aber auch wenn dieser Text anfänglich nur mündlich überliefert worden ist, besitzt er doch alle Kennzeichen historischer Richtigkeit und ist wahrscheinlich authentisch. Wir haben hier ein mündlich in den Gemeinden überliefertes Zeugnis von unserem Herrn Jesus Christus vor uns, so wie es im letzten Vers des Johannes-Evangeliums steht:

Es gibt aber noch vieles andere, was Jesus getan hat. Wenn das alles einzeln aufgeschrieben würde – ich denke, die ganze Welt könnte die Bücher nicht fassen, die dann geschrieben werden müssten. (Joh 21,25)

Aus diesem Grund befindet sich der Abschnitt in allen Griechisch-Ausgaben des Neuen Testaments im Haupttext, nicht nur als Fußnote. Und selbstverständlich finden wir ihn auch in allen uns bekannten Bibelausgaben. Und in allen Kommentaren wird er ausgelegt.

Wer sich näher mit solchen Fragen befassen möchte, sei auf mein Buch „Näher am Original“ verwiesen.

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