Es handelte sich um die Maria von Magdala (manchmal auch Maria Magdalena genannt) aus der Jesus sieben Dämonen ausgetrieben hatte.[1] Sie gehörte zu den Jüngerinnen, die Jesus seit seinem Wirken in Galiläa begleitet und für ihn gesorgt hatten.[2]
Sie gingen mit Jesus bis nach Jerusalem und mussten schließlich zusehen, wie er gekreuzigt wurde[3] und starb.[4] Zusammen mit einer anderen Maria, wohl der Mutter von Jakobus[5], blieb Maria in der Nähe des Toten und sah, wie Joseph von Arimatäa den Leib ihres Herrn vom Kreuz abnahm und in seine eigene Gruft legte.[6] Nach dem Ende des Sabbats kauften beide Frauen wohlriechende Öle, um damit den Leichnam von Jesus zu salben.[7]
Am Sonntag, noch vor Sonnenaufgang, machten sie sich wieder auf den Weg zum Grab. Unterwegs überlegten sie, wer ihnen wohl den schweren Stein von der Grabhöhle, wegwälzen würde.[8] Doch als sie ankamen, war der Stein schon beiseite gerollt. Aber Maria schaute offenbar nur kurz in die Grabhöhle hinein. Und als sie sah, dass das Gab leer war, rannte sie sofort zurück in die Stadt zu Petrus und Johannes und sagte ihnen, dass das Grab leer war.[9] Die beiden Jünger machten sich gleich auf und rannten zum Grab. Sie mussten sich dort jedoch überzeugen, dass der Leichnam wirklich fehlte. Johannes allerdings fing schon etwas an zu glauben. Dann kehrten beide in ihre Häuser zurück.[10]
Danach waren noch andere Frauen am Grab angekommen und schauten hinein. Diese sahen allerdings Engel im leeren Grab, die ihnen verkündeten: „Er ist nicht hier, er ist auferstanden, wie er es gesagt hat.“ Mit dieser Botschaft schickten sie die Frauen zu allen Jesus-Jüngern.[11]
Maria aus Magdala war den beiden Jüngern nachgegangen und stand nun wieder allein an der offenen Grabhöhle und weinte.[12]
Jetzt müssen wir mit der Beantwortung der oben gestellten Frage beginnen. Wir lesen zuerst den Bibeltext.
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[1] Lk 8,2.
[2] Mk 15,40-41.
[3] Joh 19,25.
[4] Mt 27,54-56.
[5] Mt 27,56.
[6] Mt 27,61; Mk 15,46f.
[7] Mk 16,1
[8] Mk 16,2-4.
[9] Joh 20,1-2.
[10] Joh 20,3-10.
[11] Mt 28,5-8; Mk 16,5-8; Lk 24,5-9.
[12] Joh 20,11.
Joh 20:11-17 11 Maria stand inzwischen wieder draußen an der Grabhöhle und weinte. Weinend beugte sie sich vor, um in die Gruft hineinzusehen. 12 Auf einmal sah sie zwei weiß gekleidete Engel an der Stelle sitzen, wo Jesus gelegen hatte, einer am Kopfende und der andere am Fußende. 13 „Frau, warum weinst du?“, fragten sie. Maria erwiderte: „Sie haben meinen Herrn weggeschafft, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben.“ 14 Danach drehte sie sich um und sah auf einmal Jesus dastehen. Sie erkannte ihn aber nicht. 15 Er sagte: „Frau, warum weinst du? Wen suchst du?“ Sie dachte, es sei der Gärtner, und sagte: „Herr, wenn du ihn weggetragen hast, sag mir bitte, wo er jetzt liegt. Dann werde ich ihn holen.“ 16 „Maria!“, sagte Jesus nur. Da stürzte sie auf ihn zu und rief: „Rabbuni!“ Das ist Hebräisch und heißt: Lehrer! 17 „Häng dich jetzt nicht an mich!“, sagte Jesus da zu ihr. „Denn ich bin noch nicht zum Vater im Himmel zurückgekehrt. – Geh zu meinen Brüdern und sag ihnen von mir: Ich kehre zurück zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.“ NeÜ
Nach allem, was wir über Maria aus Magdala wissen, war sie unter den Jesus-Jüngerinnen wohl diejenige, die – ähnlich wie der Jünger Johannes – Jesus am nächsten stand. Und Jesus zeichnete sie nach seiner Auferstehung dadurch aus, dass er ihr persönlich begegnete und das vor allen anderen Frauen und seinen Jüngern.
Es begann mit einer Verwechslung, denn Maria suchte einen Leichnam. Als sie sich nach ihrer zweiten Ankunft am Grab weinend in die Höhle beugte, sah sie zwei Engel an der Stelle sitzen, wo der Leichnam von Jesus gelegen hatte. Und als die Engel sie fragten, warum sie weine, sagte sie in ihrer Verzweiflung: „Sie haben meinen Herrn weggeschafft, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben.“ In ganzer Liebe hing sie an dem, was ihr von Jesus in dieser Welt noch geblieben war.
Ihre Augen schwammen von Tränen. Dann drehte sie sich um. Irgendwie muss sie gespürt haben, dass da noch jemand zum Grab kam. Sie sah einen Mann, der sie freundlich fragte: „Frau, warum weinst du? Wen suchst du?“ Weil Maria aber dachte, das wäre der Gärtner, überfiel sie ihn mit den Worten: „Herr, wenn du ihn weggetragen hast, sag mir bitte, wo er jetzt liegt. Dann werde ich ihn holen.“ In ihrer tiefen Trauer um Jesus wusste sie kaum, was sie sagte. Dabei stand Jesus schon leibhaftig vor ihr. Aber sie erkannte ihn nicht.
Die Frauen. Anders erging es den Frauen, die zu den Jüngern geschickt worden waren. Die Engelbegegnung hatte sie erschreckt, aber auch froh gemacht, denn sie sollten den Jüngern sagen, dass Jesus vom Tod auferstanden war. Jesus hatten sie noch nicht gesehen, aber der Engelbotschaft hatten sie geglaubt. Ihnen kam Jesus jetzt entgegen.
Mt 28:9-10 9 „Seid gegrüßt!“, sagte er. Da liefen sie zu ihm hin, warfen sich nieder und umfassten seine Füße. 10 „Habt keine Angst!“, sagte Jesus zu ihnen. „Geht, und sagt meinen Brüdern, sie sollen nach Galiläa gehen! Dort werden sie mich sehen.“ NeÜ
Diesen Frauen hatte er sich gleich zu erkennen gegeben. Sie warfen sich vor ihm nieder und umfassten seine Füße. Jesus verwehrte ihnen das nicht und bestätigte den Auftrag der Engel.
Die Jünger. Sie glaubten den Frauen nicht, die ihnen die Engelbotschaft von der Auferstehung ihres Herrn überbrachten. Sie empfanden das wohl auch als indirekten Tadel, denn die Ankündigungen ihren Herrn, dass er leiden müsste und am dritten Tag auferstehen würde, hatten nicht nur die Frauen gehört, sondern auch sie alle.[1]
Petrus. Im Lauf des Ostertages war Jesus dann auch Petrus, der ihn dreimal verleugnet hatte, persönlich erschienen. Als dieser den anderen Jüngern davon berichtete, glaubten sie endlich.[2]
Die Emmaus-Jünger. Ihnen erging es ähnlich wie Maria. Sie erkannten den Mann nicht, der sich ihrem abendlichen Rückweg nach Emmaus anschloss. Erst als sie ihn zu sich eingeladen hatten, und Jesus ihnen nach dem Segensgebet das Brot reichte, begriffen sie, dass es Jesus selbst war. Doch in diesem Augenblick wurde er für sie unsichtbar.[3] Als die beiden dann sofort nach Jerusalem zurückkehrten und den Jüngern erzählten, was sie erlebt hatten, waren diese durch Petrus schon von der Auferstehung überzeugt worden.
Alle Jünger. Plötzlich stand Jesus selbst in ihrer Mitte, aber sie sahen ihn nicht hereinkommen. Die Jünger hatten nämlich alle Türen zugesperrt.[4] Aber jetzt freuten sie sich nicht, sondern erschraken nur, weil sie meinten einen Geist zu sehen. Jesus hatte Mühe, ihnen deutlich zu machen, dass er es wirklich war.
Lk 24:36-43 36 Während sie noch erzählten, stand der Herr plötzlich selbst in ihrer Mitte. „Friede sei mit euch!“, grüßte er sie. 37 Doch sie erschraken sehr und bekamen Angst, weil sie meinten, einen Geist zu sehen. 38 „Warum seid ihr so erschrocken?“, sagte Jesus zu ihnen. „Warum kommen euch solche Gedanken? 39 Seht euch meine Hände an und meine Füße: Ich bin es ja! Berührt mich doch und überzeugt euch selbst! Denn ein Geist hat weder Fleisch noch Knochen, wie ihr es aber an mir seht.“ 40 Mit diesen Worten hielt er ihnen seine Hände hin und zeigte ihnen seine Füße. 41 Und als sie es in ihrer Freude und Verwunderung immer noch nicht glauben konnten, fragte er: „Habt ihr etwas zu essen hier?“ 42 Da gaben sie ihm ein Stück gebratenen Fisch. 43 Er nahm es und aß es vor ihren Augen auf. NeÜ
Jesus hatte noch seine menschliche Gestalt, konnte ihnen die Wundmale zeigen und etwas vor ihren Augen essen. Aber irgendwie war er doch verwandelt und scheinbar nicht mehr an diese Welt gebunden.
Der Jünger Thomas war bei der Gelegenheit nicht anwesend. Und von den anderen Jüngern ließ er sich nicht von der Auferstehung überzeugen. Er wollte Jesus unbedingt persönlich anfassen, um nicht einem Phantom aufzusitzen. Eine Woche später bot Jesus ihm das ausdrücklich und mitten untern den anderen Jüngern an.[5] Ob er oder die anderen Jünger Jesus direkt berührten, wird nicht berichtet. Offenbar genügte ihnen das Ansehen.
Die Jünger am See von Tiberias. Es ist wieder dasselbe Phänomen: Die Jünger im Fischerboot erkannten ihn nicht, als sie ihn plötzlich am Ufer des Sees von Tiberias stehen sahen. Nur Johannes, der Jünger den Jesus besonders lieb hatte, sagte zu Petrus: „Es ist der Herr!“ Als Jesus sie dann alle zu einem Frühstück im Freien einlud, wagte keiner ihn zu fragen, wer er sei. Denn innerlich wussten sie, dass es der Herr war.[6] Er war immer noch derselbe Jesus, aber nicht mehr ganz derselbe wie vor seinem Tod. Den Grund dafür hatte Jesus nur der Maria aus Magdala genannt.
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[1] Lk 24,6-11.
[2] Lk 24,34.
[3] Lk 24,13-31
[4] Joh 20,18-19.
[5] Joh 20,24-29.
[6] Joh 21,1-14.
Zu der Maria aus Magdala hatte Jesus nur ein einziges Wort gesagt: „Maria“. Er kannte ihren Namen! Und sie hörte seine Stimme.[1] Da stürzte sie auf ihn zu und rief „Rabbuni!“ Das war im Hebräischen eine besonders ehrfürchtige Anrede: „Mein Lehrer!“.
Was in dieser Szene genau geschah, wissen wir nicht. Viele Übersetzungen geben Marias Reaktion so wieder: „Sie drehte sich um.“ Aber Johannes berichtet in seinem Evangelium zwei Verse vorher, dass sie sich schon zu dem vermeintlichen Gärtner, also zu Jesus, umgedreht und mit ihm gesprochen hatte. Sollte sie sich jetzt noch einmal umdrehen? Das ist in dieser Szene schwer denkbar. Außerdem verwendete Johannes, der Autor des Evangeliums, hier eine andere grammatische Form für „umdrehen“[2]. Das könnte man auch als „zupackend auf jemand zugehen“ verstehen. In überströmender Freude stürzte Maria auf Jesus zu.
Ob sie ihn schon berührt oder gar umfangen hat oder nur in Begriff war es zu tun, wissen wir nicht. Beides ist möglich. Aber hat Jesus ihr gleich die Berührung verboten? Warum hätte er es dann den anderen Frauen erlaubt und den Jünger Thomas sogar dazu aufgefordert, wie wir schon gelesen haben? Wieder erklärt der Zusammenhang am besten, was Jesus gemeint haben könnte. Denn sein nächster Satz ist die Begründung für seine Reaktion. Deshalb meine Übersetzung: „Häng dich ‹jetzt› nicht an mich!“
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[1] Wie Jesus Joh 10,27 sagte: „Meine Schafe hören auf meine Stimme“.
[2] Aorist, Partizip passiv, so auch in Mt 7,6 für dasselbe Wort.
Joh 20:17 „Häng dich ‹jetzt› nicht an mich!“, sagte Jesus da zu ihr. „Denn ich bin noch nicht zum Vater im Himmel zurückgekehrt. – Geh zu meinen Brüdern und sag ihnen von mir: Ich kehre zurück zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.“ NeÜ
Maria sollte offensichtlich verstehen, dass Jesus nicht in dasselbe Leben zurückgekommen war wie sie es vorher als seine Jüngerin kannte. Jesus gehörte nach seiner Auferstehung nicht mehr dieser Welt an, obwohl er sich noch in ihr aufhielt. Die alten vertrauten Beziehungen, die in seinem irdischen Dasein bestanden, sind nicht mehr möglich. Deshalb begründete er seine scheinbar abweisenden Worte ihr gegenüber: „Denn ich bin noch nicht zum Vater im Himmel zurückgekehrt.“ Damit sagt er Maria auch, dass eine ununterbrochene persönliche Gemeinschaft mit ihm erst möglich sein wird, wenn er zu seinem Vater im Himmel zurückgekehrt ist. So etwas hatte er zu keinem anderen Menschen vorher gesagt.
Jetzt hatte Jesus noch eine besondere Aufgabe für Maria. Anstatt ihn für sich ganz in Anspruch zu nehmen, sollte sie zu seinen Brüdern gehen und sie auch darauf vorbereiten, dass Jesus nun direkt auf dem Weg zu seinem Vater war. Auch dieser konkrete Auftrag war einzigartig: „Geh zu meinen Brüdern und sag ihnen von mir: Ich kehre zurück zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.“
Joh 20:18 Da ging Maria aus Magdala zu den Jüngern. „Ich habe den Herrn gesehen!“, verkündete sie und richtete ihnen aus, was er ihr aufgetragen hatte. NeÜ
Dann bereitete Jesus seine Jünger auf ihre kommenden Aufgaben zu. Lukas berichtet zusammenfassend, was in diesen Tagen geschah:
Apg 1:3 Diesen Männern hatte Jesus sich nach seinem Leiden durch viele überzeugende Beweise als lebendig dargestellt. Vierzig Tage lang ließ er sich unter ihnen sehen und redete mit ihnen über das Reich Gottes. NeÜ
Jesus hatte diese gequälte Frau aus Magdala von Dämonen befreit und eine Nachfolgerin gefunden, die bis über seinen Tod hinaus ihm treu geblieben war. Deshalb ehrte Jesus sie als die erste Botin seiner Auferstehung, die er mit einer einzigartigen Botschaft zu seinen Jüngern senden konnte. Deshalb musste sie schnell begreifen, was auch seine Jünger, die er jetzt Brüder nannte, verstehen sollten. Als Jesus dann 40 Tage später in den Himmel aufgenommen wurde, befand sie sich gewiss auch unter den Frauen auf dem Obersaal, wie Lukas in Apg 1,12-14 berichtet. Sie waren mit Maria, der Mutter von Jesus, dessen leiblichen Brüdern und den elf Jüngern einmütig beieinander und beteten beharrlich miteinander.

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