Was haben weltliche, fremdreligiöse oder heidnische Zitate in der Bibel zu suchen? Gibt es solche überhaupt? In manchen Bibelübersetzungen wird auf so etwas aufmerksam gemacht, in anderen nicht. Bibelgläubige Christen sind dann irritiert, wenn jemand sie auf solche Texte aufmerksam macht. Zerstören sie nicht die Unfehlbarkeit des biblischen Buchs, in dem sie auftauchen? Verleihen sie andererseits den Schriften heidnischer Autoren göttliche Qualität? Die Antwort lautet zweimal NEIN.

Das Neue Testament enthält etwa 410 Zitate aus dem Alten Testament und dazu noch zahllose Anspielungen. Bei manchen Zitaten fallen uns aber deutliche Unterschiede auf, wenn wir sie mit dem alttestamentlichen Text vergleichen. Wie sollen wir das verstehen? Hat der Apostel nur frei aus dem Gedächtnis zitiert oder frei aus dem Hebräischen übersetzt? Hat er den Text bewusst verändert? Aber warum? Wollte er eine bestimmte Wahrheit betonen? Hat vielleicht der Heilige Geist ihn dazu geführt?

Auf all diese Fragen lassen sich – frei von Bibelkritik – gute Antworten finden. 1 Ja, wir sind davon überzeugt, dass die neutestamentlichen Autoren unter Führung und Kontrolle des Geistes Gottes standen, der sich ihrer Individualität und Begabung bediente, sodass eine geistgewirkte irrtumslose Niederschrift entstand.

Wie ist es aber bei den außerbiblischen Zitaten, die wir vom Wortlaut her als echte Zitate werten müssen. 2 Schauen wir uns das bei Paulus und bei Judas, dem Bruder des Herrn, etwas genauer an.

Außerbiblische Zitate des Paulus

Paulus sagte in seiner Predigt auf dem Areopag in Athen:

Apg 17:28 Denn ‘durch ihn leben wir, bestehen wir und sind wir’. Oder wie es einige eurer Dichter ausgedrückt haben: ‘Denn auch wir sind von seiner Art.’

Der erste Satz im Vers hat Anklänge an den kretischen Dichter Epimenides (6. Jh. v.Chr.), der auch in Athen wirkte und auf dessen Initiative hin möglicherweise der Altar mit der Inschrift: ‘Dem unbekannten Gott’ errichtet wurde.

Das zweite Zitat im Vers stammt von den stoischen Dichtern Aratus aus Soloni in Zilizien, der Heimat des Paulus (3. Jh. v.Chr.), und Kleanthes aus Assos in Kleinasien (304-233 v.Chr.), die es ursprünglich auf Zeus oder einen Logos bezogen.

In seinem Brief an die Korinther schrieb Paulus:

1.Kor 15:33 Täuscht euch nicht! „Schlechter Umgang verdirbt gute Sitten.“

Hier handelt es sich um ein Sprichwort gewordenes Zitat des Athener Komödiendichters Menander (um 270 v.Chr.). Gottes Geist hat es ihm nicht verwehrt. Vielleicht hatte Paulus auch an Pred 10,1 gedacht, wo sinngemäß dasselbe steht.

An seinen Mitarbeiter Titus schrieb der Apostel:

Tit 1:12 Einer von den Kretern muss ein Prophet gewesen sein, als er sagte: „Die Kreter sind immer Lügner, wilde Tiere und faule Bäuche.“

Das entsprach offenbar der Erfahrung des Apostels auf Kreta. Das Zitat stammt von dem oben genannten Epimenides aus Knossos auf Kreta.

Auch heidnische Autoren sagen und schreiben Dinge, die zu ihrer eigenen oder zur allgemeinen Erfahrung der Menschen gehören und durchaus wahr sind. Inspiriert waren weder diese Autoren noch deren Schriften, aber sie konnten doch auch Richtiges und Wahres enthalten. Gottes Geist führte den Apostel, dieses zur Veranschaulichung zu verwenden.

Außerbiblische Zitate von Judas, dem Bruder des Herrn

Hier wird es schwieriger, denn Judas sagt nicht, dass er zitiert. Es kann sich hier auch nicht um ein Sprichwort handeln, denn Judas beschreibt eine Begebenheit aus der unsichtbaren Welt, die mit dem Tod Moses zusammenhing. Er wollte damit zeigen, dass die Irrlehrer, die sich in der Gemeinde eingeschlichen hatten, widerliche Dinge taten und sogar überirdische Mächte lästerten, was nicht einmal der Engelfürst Michael wagte.

Jud 1:9 Selbst der Engelfürst Michael wagte es nicht, ein abwertendes Urteil über den Teufel zu fällen, als er mit ihm über den Leichnam von Mose stritt. Er sagte nur: „Der Herr bestrafe dich!“

Woher wusste Judas das? Der Inhalt dieses Verses findet sich nicht in der Bibel, sondern in der sogenannten Himmelfahrt des Mose, wie es von Kirchenvätern wie Clemens und Origenes bezeugt wird. Das war die Schrift eines frommen Juden, der vom 5. Buch Mose ausgehend seinem Volk Mut machen wollte. Offenbar war die Geschichte, die Judas zitiert den Gläubigen gut bekannt und eben auch den Irrlehrern. Judas wollte sie praktisch mit ihren eigenen Waffen schlagen, denn sie stützten sich vor allem auf ähnliche Schriften.

Das zweite Zitat hat Judas ziemlich wörtlich aus dem Buch Henoch übernommen, um die Irrlehrer vor dem Gericht Gottes zu warnen und die Gemeinde vor den Irrlehrern. In der Bibel finden sich diese Verse nicht.

Jud 1:14-15 Schon Henoch, der Nachkomme Adams in siebter Generation, hat ihnen diese Strafe angekündigt: „Passt auf! Der Herr kommt mit Abertausenden, die alle zu ihm gehören, und wird Gericht halten. Er wird all die Gottlosen von ihrer Auflehnung gegen ihn überführen und sie für ihr bösartiges Treiben und ihr gottloses Reden bestrafen.“

Auch mit diesem Zitat beschreibt Judas etwas, was ihm und seinen Lesern bekannt war. Manches verstanden sie als Weissagung auf den Herrn Jesus Christus, der zum Gericht kommt. Ist das, was Judas zitiert deshalb falsch? Er zitiert ja aus apokryphen, das heißt ursprünglich geheimen Schriften. Gemeint sind aber Schriften, die von den christlichen Gemeinden letztlich nicht anerkannt wurden oder mit Recht zweifelhaft sind. 3

Die Fragen, die für uns bleiben: Hat Judas, der Bruder des Herrn, hier Fehler gemacht? Ist sein Brief also nicht mehr maßgeblich für uns? Aber sagen die Zitate denn etwas Falsches aus? Woher weißt du das?

Beide Bücher waren in der frühen Christenheit bekannt und geachtet. Judas zitiert daraus, um einen bestimmten Gedanken zu veranschaulichen. Das spricht nicht gegen die Inspiration seines Briefes und nicht für die Inspiration der zitierten Schriften. Wir können getrost davon ausgehen, dass Judas, vom Geist Gottes geführt, diese Zitate verwendete, um seine Botschaft zu veranschaulichen. Die spätere Gemeinde hat das dadurch bestätigt, dass sie den Judasbrief zu den kanonischen, also anerkannten Schriften zählte. Und bis heute ist dadurch keine Irrlehre entstanden, sondern im Gegenteil eine deutliche Warnung vor ihnen.

Über den folgenden Link findet man ein anschauliches Video mit einer kurzen und gut verständlichen Einführung in den Judasbrief.

 

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